Ein durchaus realistische Einschätzung aus Ägypten!
Alaa al Aswany
Eine Flug-Karriere zu machen war nicht leicht für Lotfia. Ihr Vater hatte die Idee abgelehnt, aber sie verzweifelte nicht. Sie überredete den Direktor des Instituts für Luftfahrt, sie kostenlos als seine Sekretärin arbeiten zu lassen - im Austausch für Flugunterricht. Sie erklärte später: "Ich habe gelernt zu fliegen, weil ich es liebe, frei zu sein."
Lotfia wurde eine Heldin und ein nationaler Schatz in den Augen der Ägypter. Frauen sahen sie als eine Inspiration in ihrem Kampf für gleiche Rechte, viele junge Frauen folgten ihrem Beispiel und nahmen Flugunterricht. Ägyptische Frauen machten Fortschritte in der Gleichstellung in der gesamten Zeit der Monarchie, die im Jahr 1953 endete. Nachdem die Republik Ägypten unter Gamal Abdel Nasser gegründet worden war, machten die Frauen weitere Fortschritte, indem sie Positionen in Universitäten, Parlament und Justiz besetzten.
Die historische Weiterentwicklung der ägyptischen Frauen kontrastiert scharf mit den Ergebnissen einer neuen Umfrage von Thomson Reuters Foundation, die festhält, dass Ägypten am schlimmsten rangiert von insgesamt 22 arabischen Ländern wegen Diskriminierung im Gesetz, sexueller Belästigung und dem Mangel an Frauen auf der politischen Bühne. Warum leiden Lotfias Enkelinnen heute unter Problemen, die sie bereits vor 80 Jahren überwunden hatten?
Nach dem Krieg von 1973 im Nahen Osten, schoss der Ölpreis nach oben. Dies gab den Golfstaaten noch nie dagewesene Macht, während der wirtschaftliche Schock Millionen von Ägyptern zwang auszuwandern, um dort zu arbeiten. Viele dieser Ägypter kehrten zurück in ihre Heimat und brachten die radikalen Wahhabiten-Werte mit, die sie übernommen hatten.
Ägyptens Tradition des gemässigten Islam hatte die Rechte der Frauen anerkannt und die Frauen ermutigt, zu studieren und zu arbeiten. Im Verständnis der Wahhabiten ist es die Aufgabe einer Frau, ihren Mann zu erfreuen und Nachkommen zu gebären. Wahhabitische Prediger fördern weibliche Genitalverstümmelung, um die weibliche Sexualität zu kontrollieren. Eine Frau muss ihren Körper vollständig bedecken und darf nicht studieren, arbeiten oder reisen. Sie kann nicht einmal das Haus verlassen, ohne die Erlaubnis ihres Mannes.
Der Wahhabismus hat alle islamischen Gesellschaften und Bewegungen, einschließlich Al-Qaida und die Muslimbruderschaft, beeinflusst. Als er sich in Ägypten ausbreitete, begannen immer mehr Frauen den Hijab oder das Kopftuch zu tragen. Dies führte jedoch nicht zu einer mustergültigen Gesellschaft, es führte ins Gegenteil.
Bis Ende der 1970er Jahre trugen viele ägyptische Frauen keine Kopftücher, sondern moderne westliche Kleidung, dennoch waren Vorfälle sexueller Belästigung selten. Heute, mit der Verbreitung des Hijab, haben die Belästigungen nahezu epidemische Ausmasse angenommen. Eine Studie von 2008 des ägyptischen Zentrums für Frauenrechte ergab, dass 83% der befragten Frauen mindestens einmal sexuell belästigt wurden und dass 50% dies täglich erlebt.
Warum belästigten Männer keine ägyptischen Frauen, als sie kurze Röcke trugen, belästigen aber Frauen in Kopftüchern in zunehmendem Masse? Seit die ultrakonservative Lehre die Frauen entmenschlichte und sie auf Objekte reduzierte, wurden damit Akte sexueller Aggression gegen sie legitimiert.
Das Mubarak-Regime hatte verschiedene Differenzen mit den Anhängern des politischen Islam, aber beide Lager waren sich in ihrer Verachtung gegenüber Frauen einig. Trotz einiger formaler Reformen, angeregt von Suzanne Mubarak, die als eine aufgeklärte First Lady erscheinen wollte, erlebte die Ära Mubarak eine Verschlechterung der Rechte der Frauen.
Seit 2005 wurde sexuelle Belästigung zu einer organisierten Form der Vergeltung gegen die ägyptischen Frauen, die an Anti-Mubarak-Demonstrationen teilnahmen. Der Sicherheitsapparat bezahlte Schläger, bekannt als "beltagiya", um Banden zu bilden, um Frauen an der Teilnahme von Demonstrationen zu hindern, indem sie ihnen die Kleider vom Leib rissen und sie belästigten. Diese sexualisierte Form der Strafe wurde während der Zeit des Militärregimes und der Bruderschaft zur Regel.
Am 17. Dezember 2011, während einer Demonstration gegen den Obersten Rat der Streitkräfte in der Nähe des Tahrir-Platzes in Kairo, zogen Soldaten einer Demonstrantin die Kleidung aus, schleiften sie über den Boden und stampften mit ihren Stiefeln auf sie. Ein Video dieses Angriffs wurde ins Internet gestellt, was das Mitgefühl von Millionen Menschen weltweit entfachte. Solidaritätskomitees wurden gebildet und das Opfer des Angriffs wurde zu einer Ikone für die ägyptischen Frauen. Aber die Islamisten, damals mit dem Rat verbündet, verhöhnten das Opfer und beschuldigten es, nicht zuhause geblieben zu sein - wie es sich für eine anständige Frau gehöre.
Während der Revolution gingen Millionen ägyptischer Frauen mutig auf die Strasse und liessen sich auch nicht von Scharfschützen abschrecken. Aber die Machthaber verharmlosten ihre Tapferkeit und versuchtem, sie ins Abseits zu drängen. Nach der Wahl, die 2012 die Muslimbruderschaft an die Macht brachte, waren unter den insgesamt 508 Abgeordneten nur 10 weibliche. Mit Präsident Mohamed Morsi’s Versuch, die ägyptische Verfassung neu zu schreiben, wäre auch die einzige weibliche Richterin am Obersten Verfassungsgericht entfernt worden.
Kurz, die Islamisten bemühten sich, die Fortschritte der ägyptischen Frauen auszumerzen. Sie versuchten, das Gesetz aufzuheben, das Ärzte bestrafte, die Genitalverstümmelungen durchführten und weigerten sich, die Ehe mit Minderjährigen als eine Form des Menschenhandels zu definieren, indem sie behaupteten, der Islam erlaube, ein Mädchen im Alter von 10 Jahren zu heiraten.
Die Rechte der Frauen sind ein Indikator für den aktuellen Konflikt in Ägypten. Die Revolutionäre kämpfen für die Gleichstellung, während die reaktionären Kräfte sowohl von der Bruderschaft als auch dem Mubarak-Regime versuchen, Frauen ihre politischen und sozialen Rechte zu nehmen und sie der männlichen Autorität zu unterjochen.
Der Konflikt wird letztendlich zugunsten der Frauen gelöst werden, weil die Revolution eine Zukunft repräsentiert, die niemand verhindern kann. Im Jahr 2002 starb Lotfia El Nadi im Alter von 95 Jahren. Kurz vor ihrem Tod sagte sie: "Ich erkenne das heutige Ägypten nicht mehr, aber das Ägypten, wie ich es kenne, wird zurückkehren. Dessen bin ich mir sicher. "
Alaa Al-Aswani ist der Autor von "The Yacoubian Building."
Dieser Artikel wurde von Russell Harris aus dem Arabischen übersetzt.Statistik: Verfasst von Hadiyati — 26.9.2015, 13:44 — Antworten 0 — Zugriffe 1997
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