Erst fließt das Geld, dann die Tränen

[Hadiyati]

Für manche Westeuropäerin entwickelt sich die Urlaubsliebe zum emotionalen und finanziellen Desaster.

Was vor Gericht endete, begann für Agnes mit einem Augenzwinkern. Ein Kellner in ihrem Hotel an der türkischen Ägäisküste sah ihr beim Servieren immer so tief in die Augen, dass sie seine Einladung zu einem Ausflug schließlich annahm. Romantische Sonnenbäder, heiße Liebesnächte, ein tränenreicher Abschied am Ende des Urlaubs folgten. Später waren es hohe Telefonrechnungen, ein paar Wochenendbesuche, ein Türkisch-Lehrbuch und das Nachdenken über eine gemeinsame Zukunft. Noch später landete der Fall auf dem Schreibtisch der Bodrumer Rechtsanwältin Mine Howie.

Jedes Jahr vertritt Howie europäische Klientinnen in ähnlichen Fällen. "Dann kommen die Frauen, die ihren Fehler eingesehen haben und ihr Geld zurückhaben wollen", sagt Howie. Denn die Europäerinnen investieren oft auch finanziell in ihre meist mittellosen Liebhaber. An den Stränden von Antalya und Bodrum treffen aufstrebende junge Männer aus Ostanatolien und erlebnishungrige Frauen aus Westeuropa aufeinander. Was wie ein ganz normaler Urlaubsflirt aussieht, entpuppt sich oft als kulturelles Missverständnis: Die westlichen Frauen hoffen auf die große Liebe, die türkischen Männer auf ein besseres Leben. Oft handelt es sich um Saisonarbeiter, deren Schulbildung nach der Grundschule endete, die mit ihren Trinkgeldern eine Großfamilie in einem ostanatolischen Dorf ernähren müssen.

Die Frauen realisieren die großen Unterschiede zu ihren Liebhabern meist nicht - zumal sie sich nur notdürftig verständigen können. Dafür fließt das Geld in Strömen: zunächst kleine Geschenke, dann ein Handy, ein Zuschuss für die Operation eines Onkels, schließlich eine gemeinsame Wohnung.

Scharenweise liegen die Touristinnen den Kellnern, Köchen und Kofferträgern in den Urlaubsgebieten zu Füßen. "Ich wurde süchtig nach seinen SMS", berichtet eine 43-jährige Familienmutter aus Deutschland, die für einen jungen Hotelangestellten an der türkischen Riviera alles stehen und liegen ließ. "Er schrieb so viele schöne Dinge. Ich musste einfach wieder zu ihm."

In Deutschland, England oder den Niederlanden tauschen sich Frauen in spezialisierten Internet-Foren über Flug- und Telefontarife, Visa-Bestimmungen und Arbeitsmöglichkeiten in der Türkei aus. Die Bodrumer Rechtsanwältin Mine Howie beobachtet bei den deutschen Frauen einen Kulturschock. "Die türkischen Männer sind charmant und aufmerksam - und das sind die Frauen aus ihren eigenen Ländern nicht gewöhnt." Howie schüttelt den Kopf: "Sie überschütten ihren Liebsten mit Geld, um ihn an sich zu binden. Und am Ende klagen sie, dass sie betrogen wurden." Doch vor Gericht haben sie meist keine Chance.

Das Happy End ist eher die Ausnahme. "Die meisten hier gehen wegen des Geldes mit den Touristinnen, das ist bei 90 Prozent so", sagt Animateur Ercan, der in einer Bodrumer Nachtbar dafür zuständig ist, die Touristen auf die Tanzfläche zu holen. "Da ist es auch völlig egal, wie alt die Frau ist, ob die gut aussieht oder nicht."

"Das mit den Frauen ist inzwischen eine regelrechte Wirtschaftsbranche", sagt der türkische Kellner Ugur. "Vor allem diejenigen unter uns, die aus dem Osten des Landes kommen, sehen in den Frauen eine Chance, sich aus der Armut zu retten."

Dabei sind die jungen Gigolos nicht nur darauf aus, vom Einkommen der Urlauberinnen zu profitieren. Im Gegenteil: Viele haben ernsthafte Heiratsabsichten. Schließlich tragen die Touristinnen mit ihren EU-Pässen die Schlüssel zu den Toren des europäischen Himmelreiches mit sich herum. Eine Ehe mit einer Europäerin gilt als Glücksfall wie eine Greencard für Amerika.

Meist endet die Romanze dann, wenn sich herausstellt, dass der Geliebte noch weitere Freundinnen in Europa hat. Animateur Ercan ist ganz verblüfft, dass die Europäerinnen tatsächlich an die Treue glauben. "Das sollten sie nicht denken", rät er. "Heute du, morgen die andere und übermorgen die nächste, so geht das halt. Klar gibt es auch mal eine echte Beziehung, aber das ist vielleicht eine von hundert, mehr nicht."

quelle: welt online