Ester De la Cruz - Tischzuweiserin im Fünf-Stern-Hotel

[Hadiyati]

Du bist wirklich noch nicht lange hier", meint Ester De la Cruz lachend. "Niemand erhält hier einen Arbeitsvertrag. Eine Kündigungsfrist gibt es auch nicht. Wenn die mich nicht mehr wollen, können sie mich heute noch nach Hause schicken. Und wenn ich nicht mehr will, kann ich gehen. Das werde ich auch tun, sobald ich eine bessere Arbeit gefunden habe." Ester De la Cruz ist 28 Jahre alt und stammt aus Santo Domingo. Sie arbeitet als Tischzuweiserin im Fünf-Stern-Hotel Melia in Punta Cana an der Ostküste der Insel. Die 1’500 Betten umfassende Bungalowanlage gehört zur spanischen Hotelkette Sol Melia. 668 Angestellte sorgen rund um die Uhr für das Wohl der Feriengäste, die sich den vergänglichen Luxus zwischen 110 und 235 US Dollar pro Nacht mit Frühstück kosten lassen. Mehr also, als die umgerechnet 170 Schweizer Franken, die Ester De la Cruz in einem ganzen Monat verdient.

Dafür steht sie nicht selten elf Stunden am Tag im Dienst im Speisesaal, und die zwei bis drei "Zimmerstunden" zwischen den Schichten kann sie wenig nutzen. Ausser zum nahen Supermarkt kann sie nirgendwo hin, und in der Hotelanlage dürfen sich die Angestellten während ihrer Freizeit nicht aufhalten. Bleibt nur noch das Zimmer, doch die Personalunterkünfte sind klein, düster und bloss mit einer dünnen Trendwand in vier Abteile mit je zwei Doppelstockbetten unterteilt. "Es ist unmöglich, sich zurückzuziehen. Nicht einmal nachts hat man seine Ruhe."

Dass die 38 ausländischen Angestellten Privilegien geniessen wie allein oder zu zweit in geräumigen Zimmer zu logieren, ihre Wäsche gratis besorgt und die Getränke auf Kosten des Hauses zu kriegen, findet Ester zwar ungerecht. Doch sie beneidet sie nicht. Sie würde sich, meint sie offenherzig, in der Welt der Weissen ohnehin nicht wohl fühlen und das Touristenbuffet schmeckt ihr auch nicht. Schliesslich könnten ja nicht alle 668 Angestellten am Strand liegen und in den Gästerestaurants essen. Empört ist sie hingegen über die Tatsache, dass sich die dominikanischen Angestellten, im Gegensatz zu den ausländischen, in etlichen Hotels regelmässig einem Aids-Test unterziehen müssen. Testen, findet sie, sollte man besser die Touristen am Flughafen, denn sie haben die Krankheit mitgebracht.

Die Dominikanische Republik steht im zweifelhaften Ruf, ein Eldorado für Sextouristen zu sein. Auch Ester hat von Touristen schon verschiedentlich unzweideutige Angebote bekommen. Doch für Anmache oder sexuelle Belästigungen ist man(n) bei Ester eindeutig an der falschen Adresse. "Normalerweise versucht es ein Mann bei mir nur einmal. Ich kann nämlich ganz schön giftig werden." Weibliche Angestellte sind aber auch anderen Diskriminierungen ausgesetzt, beispielsweise bezüglich der Aufstiegsmöglichkeiten. So kennt Ester keinen einzigen Betrieb mit einer Frau in der Chefetage. Offensichtlich ist die Gleichstellung ein weltweites Problem, denn die meisten dieser Hotels gehören zu spanischen Ketten, folgert Ester. Oder bei Schwangerschaft: Theoretisch bekommt eine Frau drei Monate Urlaub und kann nachher weiterarbeiten, hält sie weiter fest. In der Praxis allerdings, wird eine Frau dann meist entlassen und durch eine neue Angestellte ersetzt. Dasselbe im Krankheitsfall, der schnell zur Entlassung führt, weil sich ohnehin täglich so viele neue StellenbewerberInnen vor den Pforten der Hotels drängen, dass schnell ein Ersatz gefunden wird. "Die Jobs sind rar in der Dominikanischen Republik. Ich darf mich nicht beklagen, ich bin froh, Arbeit gefunden zu haben."

Eigentlich hatte Ester sich ihr Leben anders vorgestellt. Sie studierte an der Universität von Santo Domingo Englisch und Deutsch und arbeitete ein Jahr als Lehrerin an einem öffentlichen Gymnasium. Dann lernte sie einen deutschen Urlauber kennen, der ihr die Heirat versprach. Ester gab Job und Wohnung auf, packte ihr Hab und Gut zusammen und reiste nach Deutschland, überzeugt ein neues, besseres Leben zu beginnen. Nach drei Monaten jedoch kehrte sie enttäuscht in die Dominikanische Republik zurück. "Es waren die schlimmsten drei Monate meines Lebens. Alles war so fremd. Ich kannte niemanden, und mein Freund hat sich überhaupt nicht um mich gekümmert. Abends ging er oft mit seinen Kollegen weg und liess mich allein zu Hause. Bei meiner Ankunft war er nicht einmal am Flughafen. So musste ich noch vier Stunden alleine mit dem Zug bis zu ihm nach Hause fahren. Wahrscheinlich wollte er mich so schnell wie möglich wieder los haben."

Zurück in ihrer Heimat musste sie ganz von vorne beginnen. Nach langer Arbeitssuche fand sie den Job als Tischzuweiserin im Hotel und ist froh um Arbeit und regelmässiges Einkommen. "Ob ich dabei glücklich bin oder nicht, ist nicht so wichtig. Hauptsache, ich kann mein Leben verdienen." Mit ein bisschen Glück, meint sie, könne sie vielleicht irgendwann wieder auf ihrem Beruf als Lehrerin arbeiten. Das wäre ihr grösster Wunsch. Und bald möchte sie sowieso heiraten und Kinder haben. Endlich eine Familie zu haben, ist Ester ein grosses Anliegen. Denn sie ist, wie viele Menschen in der Dominikanischen Republik, nicht bei ihren Eltern, sondern bei Verwandten aufgewachsen. Ihren Vater hat sie nie gekannt, und ihre Mutter hat sich nie um sie gekümmert, was sie bis heute nicht verstehen kann. Wie ihre Zukunft genau aussehen wird, darüber will sie sich lieber nicht allzu viele Gedanken mehr machen. "Wir leben von Tag zu Tag, und es ist auch besser so. Wir können ohnehin nichts verändern. Man weiss nie, wie es morgen sein wird. Vielleicht ist man schon wieder arbeitslos..."

quelle: arbeitskreis für tourismus und entwicklung