Revolution mit Facebook, Gandhi und Cola
Der erfolgreiche Aufstand gegen das Mubarak-Regime in Ägypten erfolgte keineswegs spontan. Er war jahrelang im Internet vorbereitet worden.
Die Schlacht ist geschlagen, der Feind ist verjagt, das ägyptische Volk hat gesiegt. 18 Tage haben das grösste arabische Land fundamental verändert, und mancher fragt sich erstaunt, wie eine weitgehend gewaltfreie Bewegung den repressiven Sicherheitsapparat von «Pharao» Hosni Mubarak in die Knie zwingen konnte. Die Antwort liefert die «New York Times» in einem langen Artikel, der sich wie ein Krimi liest.
Man nehme soziale Netzwerke wie Facebook, kombiniere sie mit der Disziplin religiöser Bewegungen und der Energie von Fussballfans und reichere sie an mit chirurgischer Präzision und Taktiken des gewaltlosen Widerstands. Hinzu noch ein Schuss modernes Marketing, und fertig ist die Revolution 2.0 – so zumindest fasst die Zeitung das Rezept für den erfolgreichen Aufstand zusammen. Denn die Revolte war keineswegs spontan ausgebrochen, sie war von jungen Aktivisten seit Jahren vorgespurt worden.
«Jugendbewegung 6. April»
Begonnen hatte es 2005 mit der Bewegung Kefaja (Genug), die von einem koptischen Gewerkschafter gegründet worden war. Er wollte damit gegen die Pläne von Hosni Mubarak protestieren, seinen Sohn Gamal als Nachfolger zu installieren. Sie hatte ihre eigene Nachwuchsbrigade, Jugend für den Wandel, der unter anderem der heute 30-jährige Ingenieur Ahmed Maher angehörte. Der erhoffte Wandel fand jedoch nicht statt, und die Aktivisten zogen sich ins Internet zurück.
Neuen Schwung erhielten sie nach einem Textilarbeiterstreik in der Stadt Malhalla im März 2008. Für den 6. April rief die Jugendbewegung zu einem nationalen Generalstreik auf. Dieser scheiterte, vor allem wegen schlechten Wetters, aber in Malhalla kam es zu einer Demonstration. Sie wurde von der Polizei niedergeschlagen, doch erstmals hatten sich die Menschen auf die Strasse getraut. Daraus entstand die «Jugendbewegung 6. April», die bei der Revolution drei Jahre später die tragende Rolle spielen sollte.
Gewaltloser Widerstand
Kurz danach kam es auch in Tunesien zu Streiks und Protesten, auch dort formierte sich eine jugendliche Protestbewegung. Bald kam es zu einem regen Online-Austausch mit den Gesinnungsgenossen in Ägypten. «Wir teilten unsere Erfahrungen mit Streiks und Bloggen», erinnerte sich Ahmed Maher gegenüber der «New York Times». Gleichzeitig beschäftigten sich die Aktivisten mit dem gewaltlosen Widerstand nach dem Vorbild von Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Wichtigstes Vorbild aber war die serbische Jugendbewegung Otpor, die beim Sturz von Slobodan Milosevic eine zentrale Rolle gespielt hatte.
Mitglieder des «6.April» reisten nach Serbien, um sich mit Otpor-Aktivisten auszutauschen. Das theoretische Fundament lieferte der amerikanische Politikwissenschaftler Gene Sharp, einer der bekanntesten Forscher zum Thema gewaltfreier Widerstand. Sein Kernargument: Gewaltlosigkeit ist das einzige effektive Mittel zur Schwächung von Polizeistaaten. Denn diese würden gewalttätigen Widerstand als Vorwand benutzen, um im Namen der Stabilität Unterdrückung zu rechtfertigen – was auf Mubaraks Ägypten genau zutrifft.
Die angekündigte Revolution
Der nächste wichtige Schritt war der Einstieg des Google-Marketingchefs Wael Ghonim, der inzwischen zu einer Art Aushängeschild des Widerstands wurde. Aus seiner beruflichen Erfahrung wusste er: «Wenn man eine Marke aufbaut, kann man die Leute dazu bringen, dass sie der Marke vertrauen.» Seine «Marke» war die Facebook-Seite «Wir sind alle Chaild Said», benannt nach einem jungen Ägypter, der im letzten Juni von der Polizei totgeschlagen wurde. Hinter den Kulissen arbeitete Ghonim eng mit dem «6. April» zusammen.
Nachdem die tunesischen «Brüder» ihren Despoten Ben Ali am 14. Januar 2011 verjagt hatten, rief der Google-Manager für den 25. Januar zu einer Kundgebung in Kairo auf. Das Ziel: Mindestens 50 000 «Fans» sollten sich zur Teilnahme verpflichten. Am Ende waren es mehr als 100 000. «Ich habe noch nie eine Revolution gesehen, die im Voraus angekündigt wurde», meinte Wael Ghonim. Der Aufmarsch übertraf dann alle Erwartungen. «Als ich mich umschaute und all die unbekannten Gesichter sah von Menschen, die tapferer waren als wir, da wusste ich: Das Regime ist am Ende», meinte Ahmed Maher.
Milch und Cola gegen Tränengas
Zwei Tage später schlug die Polizei zurück, doch nun zahlte sich die Vorbereitung aus: Die Demonstranten hatten Zitronen, Zwiebeln und Essig zum Schutz gegen das Tränengas dabei, die Augen wuschen sie mit Milch und Cola aus. «Wir kannten alle Tricks», so Maher. Andere trugen selbst gebaute Brustpanzer als Schutz gegen Gummigeschosse. Auch der «Nahkampf» war organisiert: «Die Verletzten wurden sofort nach hinten gebracht und durch neue Leute ersetzt. Wir haben die ganze Zeit rotiert.» Nach fünf Stunden hatten die Demonstranten den Tahrir-Platz «erobert» und gaben ihn nicht mehr her.
Am 2. Februar erfolgte der nächste Versuch, die Revolution mit Gewalt niederzuschlagen. Das Regime hetzte teilweise bezahlte Schläger auf den Platz. Doch nun waren die Muslimbrüder hinzugestossen, die ihr Organisationstalent bei der Verteidigung einsetzten. «Die jungen Muslimbrüder spielten eine wirklich grosse Rolle», sagte Maher, «aber das gilt auch für die Fussballfans.» In der Auseinandersetzung mit der Polizei halfen erfahrene Hooligans der Kairoer Fussballklubs, den Platz zu halten.
Gestern Tunesien, heute Ägypten, morgen die Welt
Zwei äussere Faktoren trugen letztlich auch dazu bei, der Revolution zum Sieg zu verhelfen: Zum einen weigerte sich die Armee, auf ihre Mitbürger zu schiessen. Und die USA machten Druck auf das Regime, denn Präsident Barack Obama hat laut «New York Times» früher als manche seiner Mitarbeiter erkannt, welche Chance diese Entwicklung bot. Hosni Mubarak aber blieb lange stur, zuletzt in seiner Rede am 10. Februar, bei der gemäss amerikanischen Regierungsbeamten Sohn Gamal im Hintergrund die Fäden zog.
Nun hätte alles kippen können, doch trotz grosser Frustration blieb der befürchtete Gewaltausbruch aus. Noch einmal bewährte sich der gewaltlose Widerstand. Tags darauf war Mubarak weg. Nun schauen die jugendlichen Anführer bereits über Ägypten hinaus: «Tunesien gab den Anstoss für Ägypten, und Ägypten wird den Anstoss geben für die Welt», sagte Walid Raschid von der «Jugendbewegung 6. April». Sie will ihre Erfahrungen mit ähnlichen Bewegungen in Algerien, Libyen, Marokko und Iran teilen. Auch wenn die Voraussetzungen überall verschieden sind: Die Despoten sollten gewarnt sein.
quelle: peter blunschi